Über 100 Jahre S.C. Lurich 02

(Text aus: Festschrift zum 100jährigen Vereinsjubiläum im Jahre 2002)
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Inhalt:

Vorwort

Der Sport-Club Lurich 02 ist über 100 Jahre alt. Somit blicken wir auf einen Zeitraum zurück, der fast das gesamte 20. Jahrhundert umfasst. Die Geschichte dieses Jahrhunderts und insbesondere die Geschichte der Stadt Berlin spiegeln sich in der Geschichte des Vereins wider wie in einem Mikrokosmos. Der Bogen spannt sich vom Kaiserreich über Weltkriege, Diktaturen und Demokratien. Die Vereinsmitglieder erlebten die Spaltung der Arbeiterbewegung in der Weimarer Republik und die Spaltung Deutschlands und Berlins durch eine Mauer. Wir blicken zurück auf leidvolle Erfahrungen und Niederlagen, aber auch auf Triumphe, Chancen und Neuanfänge. Die vorliegende Festschrift soll einen Beitrag dazu leisten, uns dieser wechselvollen Geschichte zu erinnern. Aus Fehlern wollen wir lernen, die wertvollen Traditionen nicht vergessen.

Vereinsgeschichte 1902 – 2002

Wie alles anfing - April 1902 bis zum Ersten Weltkrieg
Die Vereinsgründer waren acht Kreuzberger Jungen, knapp der Schule entwachsen, welche sich vom ersparten Geld ein 25-Pfund-Gewicht kauften und im Hausflur des Hauses Forster Straße 50 regelmäßig Übungsstunden abhielten. So wollten sie sich zu gesunden, starken Männern heranbilden. Ihre Namen waren: Gustav Schmitz, Paul Schulz und die Gebrüder Krohmann, Börmicke und Neppasch.

In der aufstrebenden Weltstadt Berlin wurde Sport gerade erst modern. Die Stadt war gleichzeitig politisches und kulturelles Zentrum des deutschen Reiches sowie Industrie-Metropole mit schnell wachsender Bevölkerung und extrem hoher Bebauungsdichte. In diesem Spannungsfeld zwischen Tradition und Moderne entwickelten sich zahlreiche Reformbewegungen. Die verunsicherten Menschen wollten zurück zur Natur und ihre Körper befreien. Um 1900 war die Devise der von Steglitzer Gymnasiasten gegründeten Wandervogelbewegung: „Hinaus ins Freie“. Staatliche oder kommunale Sportförderung gab es nicht. Sportliches Treiben war sowohl der Polizei als auch der Bevölkerung eher verdächtig.

Gustav Schmitz erzählte später, wie es den sportbegeisterten Jungen oft erging: „Bei unseren ersten Hebeversuchen mit einigen Eisenkugeln auf der Rixdorfer Wiese wurden wir von einem Gendarmen überrascht. Mit strenger Miene, seinen Schnauzbart zwirbelnd, musterte uns der Polizeigewaltige mit der Pickelhaube. Bevor er aber sein Erstaunen überwunden hatte, waren wir auf und davon“ (Berliner Morgenpost vom 19.12.1952). Viele ähnliche Erlebnisse folgten noch.

Als sich weitere Sportinteressierte dem Training anschlossen, setzte der Hauswirt der Forster Straße 50 die athletischen Störer samt ihrem ¼ Zentnerchen erst einmal an die frische Luft. Der im selben Hause wohnende bekannte Ringer und Heber Leopold Jänicke erschien als Retter in der Not und bot den Trainierenden sein Laubenfeld als Übungsplatz an. Darüber hinaus verfügte Leopold Jänicke noch über eine Kugelstange von 130 Pfund, die den sportlichen Ehrgeiz der angehenden Athleten weiter anspornte. Im Übrigen unterrichtete Leopold Jänicke den im Juli 1902 schon 20 Sportler zählenden Kreis in der Kunst des Ringens.

Da alle mit Eifer dabei waren, regte Jänicke die Vereinsgründung an. Durch die Zahlung von Beiträgen sollten Geräte zur besseren Ausbildung angeschafft werden. Als Vereinsname wurde der des vielseitigen Sportlers und Weltmeister-Ringers Georg Lurich gewählt. Leopold Jänicke hatte zuvor den Weltmeister im Ringen 1901 gesehen und ihn gefragt, ob er Namenspatron sein wolle. Lurich war einverstanden und spendete 200 Goldmark, damit sich die Sportler neue Trainingsgeräte kaufen konnten.

Nach vollzogener Vereinsgründung (26. Juli 1902) und in Anbetracht des nahenden Winters musste man sich auch nach einem „Vereinslokal“ umsehen, welches man in der Wiener Straße fand. Eine flächendeckende Versorgung mit Turnhallen gab es damals nicht. Arbeitersportvereine trainierten oft in Veranstaltungsräumen oder Hinterzimmern von Kneipen.

Am Ende des Jahres 1903 hatte der Sport-Club Lurich 02 bereits rund 50 Mitglieder und einen Ringer-Wettstreit um die Meisterschaft von Berlin mit 120 Teilnehmern veranstaltet. Leopold Jänicke belegte hierbei den zweiten Platz und wurde vom anwesenden Weltmeister Georg Lurich für sein gutes technisches Können gelobt. Die gestiegene Mitgliederzahl war nicht nur der Werbewirkung dieses Wettkampfs zu verdanken, sondern auch derjenigen durch die Leistungen des „Lurich-Trio“. Dieses Trio setzte sich aus Mitgliedern der Geburtsstunde des Vereins zusammen. Sie hatten sich zwischenzeitlich zu Artisten ausgebildet, weil sie nicht immer nur Ringen und Heben üben wollten.

Die folgenden Jahre waren eine Kette von Erfolgen; den Vorsitz führten abwechselnd Leopold Jänicke und Gustav Schmitz: Bereits 1905 konnte der Verein durch das Protektorat Georg Lurichs an den deutschen Meisterschaften teilnehmen und im klassischen Ringen erste Erfolge verzeichnen. Dem Lurich-Ringer Richard Falkner gelang es 1911, den Titel eines Europameisters zu erringen. Er brachte als erster den Namen des Sport-Clubs über die Grenzen Deutschlands.

1911 brachte auch die „Lebensreform“ und „Jugendbewegung“ dem Verein weiteren Auftrieb. Man trieb vermehrt Gymnastik und Sport. Dem (nackten) Körper wurde besondere Beachtung geschenkt, weil er als das schlechthin Natürliche galt; man sprach freier über Sexualität, „freie Liebe“ und Homosexualität. Initiiert durch diese Bewegung wurde eine Jugend-Abteilung gegründet. Jugendarbeit war in den Athletenvereinen sehr selten, denn das Ringen und Heben war seit der Gründung dieser Vereine um 1880 stets Sache der „starken Männer“ gewesen. Von etwa hundert Berliner Vereinen besaßen nur fünf Jugendabteilungen. Es war also sehr vorausschauend, eine planmäßige Jugendarbeit zu beginnen. Die Jugendlichen Erich Rochler, Erich Wundersee, Willi Henze und Willi Meyer traten dem Verein bei.

Dem Aufwärtsstreben dieser Jahre setzte der Krieg 1914 ein jähes Ende. Da im Ersten Weltkrieg 90% der Arbeiter-Athleten eingezogen wurden, kam die Arbeit der Vereine praktisch zum Erliegen. Nur mit Mühe konnten Rudolf Jänicke und einige Jugendliche den Sport-Club aufrechterhalten.
Nach vier Jahren „…waren den Kriegsgelüsten der Volksbedrücker…“, wie es in der Vereins-Festschrift von 1927 heißt, 30 Mitglieder zum Opfer gefallen.

Aufstieg zum größten Verein des AABD - Die Weimarer Republik
Die „Goldenen Zwanziger Jahre“ brachten für die Menschen Chancen und Probleme: Zum einen bot sich die Möglichkeit zur Demokratisierung und kulturellen Entwicklung, zum anderen gab es politische und ökonomische Krisen. Der Sport erlebte in der zu Groß-Berlin zusammengeschlossenen Stadt einen ungeahnten Aufschwung. Berlin als „Herz des deutschen Sportlebens“ bot hierfür exzellente Möglichkeiten. Die wichtigsten Sportorganisationen hatten hier ihren Sitz, so z.B. die „Zentralkommission“ als Dachorganisation der Arbeitersportbewegung.

Es setzte eine gezielte Förderung des Spiel- und Sportplatzbaus ein. Die Mittel stammten aus der von Oberbürgermeister Gustav Böß ins Leben gerufenen „Stiftung Park, Spiel und Sport“, aus Zuschüssen des Landes und des Reiches sowie aus dem Haushalt der Stadt. Viele Arbeiten wurden von Arbeitslosen durchgeführt. So entstanden die Volksparks Rehberge und Jungfernheide.

Die sportaktiven Berliner waren allerdings nur eine Minderheit gegenüber den Sportkonsumenten, die als Zuschauer Ablenkung, Unterhaltung und Spannung suchten: 10.000 Besucher füllten den legendären Sportpalast, um den Sportprofis zuzujubeln. Bis zu 500.000 Menschen säumten an Renntagen die AVUS. In Berliner Zeitungen und Zeitschriften wurde dieser „Kanonenkult“ (d.h. die Heroisierung der Sportler) und das Rekordprinzip, die Kommerzialisierung und die Sensationsgier der Zuschauer angegriffen. Kritik am bürgerlichen Sport kam insbesondere aus den Reihen der Arbeitersportbewegung, in der ca. 25% der Berliner Sportler organisiert waren.

In den Jahren 1924 bis 1926 entwickelte sich Deutschland rasant zu einer Sportgroßmacht. Aus der Sicht Sebastian Haffners, eines bürgerlichen Intellektuellen, wurde dieses Phänomen als „der letzte große deutsche Massenwahn, dem ich selbst miterlegen bin“ gewertet (Sebastian Haffner, Geschichte eines Deutschen, Die Erinnerungen 1914-1933, Kapitel 12). Haffner schreibt weiter, dass zu den Vorboten des kommenden Unheils der Sportfimmel gehört habe, der in jenen Jahren die deutsche Jugend ergriff. Das Komische sei gewesen, dass die Politiker von rechts bis links dieser auffallenden anfallsweisen Massenverblödung der Jugend nicht Lob genug zu spenden gewusst hätten. Sie seien nicht auf die Idee gekommen, dass der Reiz des Kriegsspiels, die alte Figur des großen, spannenden Wettkampfs der Nationen, hier nur geübt und wach gehalten wurde – keineswegs aber „kriegerische Instinkte“ „abreagiert“ worden seien. Sie hätten die Verbindung nicht gesehen und nicht den Rückfall.

Die Überlebenden des Sport-Club Lurich hingegen waren fest entschlossen, die Lehren aus den Ereignissen des Ersten Weltkriegs zu ziehen. Sie waren sich dessen bewusst, „…dass man den Sport zum Nutzen der Unterdrückten und Geschädigten ausüben müsse…“ (Festschrift 1927). Solche Zielsetzungen für den Sport darf man getrost relativieren. Die meisten Vereinsmitglieder werden ihren Sport aus gesundheitlichen Gründen, wegen des Spaßes an der Freude oder aufgrund des Bedürfnisses nach Anerkennung und Auszeichnung betrieben haben. Dabei werden sie sich – was ihrer objektiven Lage entsprach – der Arbeiterklasse und deren Bewegung zugehörig oder nahe gefühlt haben und nicht etwa bürgerlichen Kreisen.

Die aus der Jugendbewegung stammenden Mitglieder Rochler, Wundersee und Henze hatten sich durch die Erfahrungen des Weltkriegs zur radikalen politischen Linken hin orientiert. Entsprechend der politischen Entwicklung in der Weimarer Republik spitzte sich die Auseinandersetzung auch in und zwischen den Sportvereinen zu: Der Riss zwischen bürgerlichen Vereinen und denen der Arbeiterbewegung wurde größer. Der Sport-Club Lurich 02 trat 1919 unter Vorsitz von Erich Wundersee aus dem 1891 gegründeten Deutschen Athletiksportverband aus und dem „Arbeiter-Athleten-Bund“ bei.

Die Geschichte des Arbeiter-Athleten-Bundes verlief kurz und dramatisch (1906-1933): Vor dem Ersten Weltkrieg grenzten sich die Berliner Athleten von den kaisertreuen Athletenvereinen und vom „Kraftsport“ der Rummelplätze und Kirmesbuden ab. Ebenso wollten sie mit dem kommerziellen Berufsathletentum nichts zu tun haben. Alle Tätigkeiten sollten „körpererziehenden Zielen“ untergeordnet werden, welche die „zweckdienliche Sportbetätigung der Arbeiterschaft befördern konnten“. Um sich gegen die Lebens- und Arbeitsbedingungen des Kapitalismus zu schützen, sollte jeder Mensch seinen Körper durch Sport soweit wie irgend möglich ausbilden, abhärten und widerstandsfähig machen.

Aus dem bürgerlichen „1. Athleten- und Artisten-Verband von Berlin und Umgebung“ von 1896 spaltete sich deshalb eine Gruppierung ab, die am ersten Weihnachtstag 1906 in Berlin den „Arbeiter-Athletenbund-Deutschlands“ (AABD) gründete und sich als Teil der Arbeiterbewegung verstand. Den Grundstock der Organisation bildeten 18 Vereine mit rund 400 Mitgliedern, die sich selbst als „klassenbewusste Schwerathleten“ bezeichneten. Durch Anschluss weiterer Verbände und Vereinigungen von Athleten war der Mitgliederbestand bis Januar 1913 auf 283 Vereine mit 7.311 Athleten angewachsen. Obwohl durch den Ersten Weltkrieg die Arbeit der Vereine nahezu unmöglich wurde, wurden 1920 bereits 22.000 Mitglieder gezählt; 1925 wurde der absolute Höchststand von 63.316 Mitgliedern erreicht, davon 16.126 Jugendliche unter 18 Jahren; 1930 waren es noch 52.000 Mitglieder.

Waren die klassischen Disziplinen der Schwerathletik Gewichtheben, Ringen, Artistik sowie volkstümliche Übungen wie Steinstoßen, Tauziehen und Pyramidenbau gewesen, so zielte das neue Konzept des AABD auf Ausgleich des durch die Schwerarbeit beanspruchten Körpers. Der Athlet sollte nicht mehr die spezialisierte „Kraftprotzerei“ betreiben, sondern gleichmäßig körperlich durchgebildet sein. „Äußere Körperschönheit“ sollte dabei Spiegel geistiger Werte sein; in diesem Sinne wurde auch die geistige Bildung als gleichberechtigter Bestandteil in die Satzung von 1928 eingefügt. Durch die Forderung nach einem gleichmäßig durchgebildeten Körper bekamen die Ausgleichssportarten eine besondere Rolle; umgehend wurden diese jedoch selbst – dank der Wettkampforientierung des AABD – zum Wettkampfsport. Ein Musterbeispiel ist das Fußballspiel: Schon 1911 wurden Pokalspiele durchgeführt.

Das Gesundheitsmotiv der Arbeiterathleten beeinflusste die Sportpraxis nachhaltig. Im Ringen waren zwei übliche, aber gefährliche Griffe verboten; im Gewichtheben galt das Drücken als gesundheitsgefährdend und wurde nicht praktiziert; Jugendliche unterlagen im Gewichtheben Einschränkungen und durften nicht unter Wettkampfbedingungen üben. Eine Ausnahme gab es beim Boxen: Trotz jahrelanger Diskussion wurde die Gesundheit und damit ein Verbot des „K.O.“ zurückgestellt zugunsten der Attraktivität eines bis zum Letzten ausgetragenen „Faustkampfes“. Auch der Kampf gegen Alkohol und Nikotin hatte schlechte Erfolgsaussichten: Bei Wettkämpfen rauchte nicht nur das Publikum, sondern manchmal sogar die Kampfrichter; im Übrigen hatte fast die Hälfte der Vereine keine Turnhalle, sondern trainierte in der Kneipe!

Der AABD nahm an den offiziellen Meisterschaften des bürgerlichen Konkurrenzverbandes nicht teil. Gleichwohl wurden bürgerliche Vereine eingeladen, um Wettkämpfe durchzuführen und so für den Arbeitersport zu werben. Das sportliche Niveau war hoch: Noch 1932 ergab eine Gegenüberstellung, dass die Gewichtheber im AABD in 36 Disziplinen neun Deutsche Rekorde und davon sogar einen Weltrekord hielten.

Der bürgerliche Konkurrenzverband beantragte 1919 eine Vereinigung, die wegen des politischen Anspruchs des AABD abgelehnt wurde. Von der politischen Spaltung zwischen sozialdemokratisch und kommunistisch orientiertem Arbeitersport blieb der AABD ebenfalls nicht verschont: Ende 1928 wurde der kommunistischen Opposition der Ausschluss angedroht. Dies betraf 44 Vereine, darunter die Großvereine in Berlin. Bis 1929 mussten 4.000 Arbeiterathleten den AABD verlassen; sie organisierten sich im Arbeiter-Athletenbund (Opposition). 1933 wurde der AABD verboten. 1.206 Vereine verloren ihre Selbständigkeit.
(Nach: Illustrierte Geschichte des Arbeitersports, Hg. Hans-Joachim Teichler und Gerhard Hauk, 1987, S. 169 ff: “Kraft ist, was Leben schafft” von Giselher Spitzer und Claus Grote)

Getreu der Entwicklung seines Verbandes vollzog sich während der Nachkriegsjahre der Aufstieg des Sport-Club Lurich 02 zum größten Verein des AABD (Werbung in „Die Athletik“, Monatsschrift des AABD, vom 1. März 1928: „Jeder einmal in Berlin – Jeder einmal beim Sportklub Lurich (Größter Verein des Arbeiter-Athletenbundes Deutschlands)“).

Mit Unterstützung der ehemaligen Jugendlichen Henze, Meyer, Rochler und Tins konnte der Verein 1920 seine erste Turnhalle beziehen. Man breitete sich auf verschiedene Sportarten aus und gliederte die verschiedenen Sparten in Abteilungen, welche eigene Turnhallen bekamen.

1924 wurde die Boxabteilung gegründet, später folgte die Jiu-Jitsu-Abteilung. Die bis dahin gemeinsam trainierenden Ringer und Heber bekamen ebenfalls getrennte Hallen. Im Juli 1926 wurde in Fürstenwalde/Spree eine eigene Abteilung gegründet und bald darauf, „…dem Zwange der Zeit folgend…“, eine Frauen- und Mädchen-Abteilung für rhythmische Gymnastik und Jiu-Jitsu. Diese Wendung aus der Festschrift von 1927 offenbart, dass es mit der Gleichberechtigung der Frauen und des Frauensports in den Arbeitersportvereinen – trotz gegenteiliger Proklamationen – nicht zum Besten bestellt war.

Der Frauensport profitierte von der Weimarer Republik. Mit der Demokratisierung der Zwanziger Jahre waren der Körper und seine Funktionen ins öffentliche Blickfeld gerückt. Die durch die Lebensreform- und Jugendbewegung angestoßene Entwicklung ging weiter. Ein neues Bewusstsein beendete das Schweigen über Sexualität und Schwangerschaft, Körperhygiene und Krankheitsvorsorge. Zudem „entblätterte“ die Mode die Menschen. Die Kleidung enthüllte mehr als sie verbarg. Eine schöne, schlanke Körperform war das neue Ideal, dem man sich durch Sport nähern konnte.

Von der Welle der Sportbegeisterung in diesen Jahren wurden auch die Frauen erfasst. Ihr Anteil in den Sportvereinen stieg auf etwa 20%. Zuvor waren Frauen – gerade in den Arbeitersportvereinen – stark unterrepräsentiert gewesen. Die Ausgrenzung der Proletarier aus der wilhelminischen Gesellschaft durchzog alle Lebensbereiche, also auch den Sport. Die Frauen aus der Arbeiterschaft waren von dieser Diskriminierung mehrfach betroffen: Sie waren hohen körperlichen Belastungen ausgesetzt, hatten keine Freizeit und lebten am Rande des Existenzminimums. Aufgrund dieser Lebensbedingungen und ungenügender Vorbildung (Mädchen-Turnunterricht gab es in den Volksschulen erst nach dem Ersten Weltkrieg) sowie patriarchalischer Gesellschafts- und Familienstrukturen zeigten Frauen wenig Interesse, in Vereinen Sport zu treiben oder gar ehrenamtlich Aufgaben zu übernehmen. Die absolute Zahl der Arbeitersportlerinnen blieb weit hinter der von bürgerlichen Sportlerinnen zurück.

Auch in den Arbeitersportvereinen sahen sich Frauen ambivalenten Erwartungen gegenüber: Vereinzelt wurden sie zu Selbstbestimmung und Mündigkeit aufgefordert, waren aber im Allgemeinen zur Unterordnung sowie zum Dienen und Dulden verpflichtet. Das Frauenbild der Arbeitersportler stellte die zweckorientierte Gesundheitsvorsorge in den Vordergrund: Die Frauen sollten widerstandsfähiger für die Arbeitswelt, belastungsfähiger für den Haushalt, kräftiger für die Mutterschaft und bereit zum Klassenkampf werden. Männer bestimmten über die legitimen Formen des Frauensports und legten die Übungen fest. Wollten Frauen wirklich einmal ein Amt im Verein übernehmen, z.B. als Frauen-Turnwartin, leisteten die Männer energisch Widerstand. Oft schieden Frauen nach ihrer Heirat aus dem Verein aus. Durch diesen stetigen Wechsel fehlten erfahrene Frauen, welche die Situation zugunsten ihrer Geschlechtsgenossinnen hätten verändern können. An der Situation der Frau hatte auch die Weimarer Republik nur partiell, nicht prinzipiell etwas geändert.

Noch 1928 schrieb der Vorsitzende des Sport-Club Lurich, Erich Rochler, in seiner Eigenschaft als Bundesjugendleiter folgende ambivalente Zeilen unter der Überschrift „Sport der weiblichen Jugend“: „… Die Arbeit an den Maschinen, in den Kontoren usw. stellt an die Frauen und Mädchen hohe Ansprüche. Das ewige Einerlei der Teilarbeit macht Kopf und Körper selbst zur Maschine, wenn die Betreffende sich nicht zur Wehr setzt und einen Ausgleich sucht. Letzteren bietet die Sportbetätigung. Glücklicherweise wird dies immer mehr erkannt. … Bei der weiblichen Jugend, die den Wert der Leibesübung noch nicht erkannt hat, haben wir Arbeitersportler für unsere Organisationen ein reiches Betätigungsfeld. Wer eine Tochter, Schwester, junge Frau, Braut oder Freundin hat, mache den Anfang in der Werbung. Sogar für unseren Arbeiter-Athletenbund können wir werben. Auch unsere Vereine müssen mehr für die Heranziehung der weiblichen Jugend tun. Durch Gründung von selbständigen Frauenabteilungen in der Leichtathletik, Gymnastik und im Jiu-Jitsu muß ein Anfang gemacht werden. … Selbstverständlich kann man kein von Natur schwächliches und zaghaftes Mädchen zu schweren Übungen heranziehen, die wie z.B. im Jiu-Jitsu einen gewissen Mut erfordern. Wir haben zwar in Berlin eine Anzahl tüchtiger Jiu-Jitsu-Kämpferinnen, aber leider geht die Bewegung nicht richtig vorwärts. Dies wird wohl daran liegen, dass die meisten weiblichen Körper dieser Kampfart nicht gewachsen sind. Es empfiehlt sich für Anfängerinnen im Jiu-Jitsu, einen Sportarzt zu Rate zu ziehen …“ („Die Athletik“ vom 1. November 1928).

In der Frauen- und Mädchen-Abteilung des Sport-Clubs trainierte Irmgard Artz rhythmische Gymnastik. Irmgard Mietzner, geb. Artz, erinnert sich im April 2002 beim Betrachten eines Fotos der Frauen-Abteilung: „Das waren alles die Freundinnen der Ringer.” Diese hatten also mit ihren Werbungen Erfolg gehabt. Den größten Frauenanteil wies aber der ATSV Fichte auf; dort waren mehr als 30% der Mitglieder weiblich.

In dieser sportbegeisterten Zeit traten dem Verein auch folgende Mitglieder bei: 1921 Willi Künzel, 1923 Franz Hagemoser und Herbert Mietzner, 1926 Paul Lange und 1927 Rudolf Knot. Sie sollten dem Verein für lange Zeit die Treue bewahren. Es gab aber auch Wechsel von erfolgreichen Lurich-Ringern zu bürgerlichen Vereinen: Curt Luft, Klub– und Kreismeister 1924, wurde Leiter der Schwerathletik-Abteilung des 1925 gegründeten Post-Sportverein Berlin, der Mitglied im DASV von 1891 war.

Die Klassenkämpfe der Weimarer Republik brachten nicht nur den Aufstieg für den Sport-Club, sondern beeinträchtigten auch seine Arbeit: Erich Wundersee, der für Kreuzberg zu den Delegierten des Gründungs-Parteitags der KPD gehört hatte und unter dessen Vorsitz der Übertritt zum AABD vollzogen wurde, saß während der Regierung Ebert als politischer Gefangener (mit weiteren 7.000 Leidensgenossen) im Gefängnis.

In der Auseinandersetzung mit der Weimarer Republik konnte auch die Forderung der Arbeiterathleten nach geistiger Bildung realisiert werden: Am 9. März 1924 veranstaltete der Sport-Club Lurich eine Matinee im Rose-Theater in der Großen Frankfurter Straße 132 (heute Karl-Marx-Allee): Ernst Friedrich rezitierte Szenen aus Ernst Tollers Tragödie „Der deutsche Hinkemann“ („Mitteilungsblatt für die Mitglieder des IV. Kreises“ vom 1. März 1924).
Die Krisenphase der Weimarer Republik 1923/1924 war auch der Höhepunkt der Toller-Skandale. Im Mittelpunkt der Auseinandersetzung stand dabei Tollers Drama „Hinkemann“, dessen Titelgebung variierte: Zunächst als „eine proletarische Tragödie“ mit „Die Hinkemanns“ überschrieben, wurde es später „Eugen Hinkemann“ und dann „Der deutsche Hinkemann“ genannt. Toller hat 1923 auf die Kritik Alfred Kerrs („Überbetonung der allegorischen Stilzüge“) mit dem endgültigen Titel „Hinkemann“ geantwortet.

Die Uraufführung fand am 19. September 1923 in Leipzig „Altes Theater“ statt; die Kritik sprach einhellig von einem Theaterereignis. Bei der Dresdner Aufführung 1924 kam es zu organisierten völkischen Tumulten. Ein späterer Gauleiter der NSDAP wollte einen Theaterskandal. Dieser hallte lange wider und zog weitere nach sich: Die Nationalisten – und mit ihnen verbündet: die Nationalsozialisten – nahmen Rache für den in Bayern im November 1923 gescheiterten rechtsextremen Putsch. Tollers pessimistische Deutschlandschelte wurde durch die Reaktion der extremen Rechten in Realität übersetzt. Die auf den Bühnen abgebrochenen Vorstellungen setzten sich fort in den Schlägereien im Zuschauerraum und auf den Straßen, in den Auseinandersetzungen der Parlamente, der Presse und der Gerichte.

Den Hinkemann in der Berliner Aufführung im April 1924 im Residenztheater gab Heinrich George. Joseph Roth schrieb in seiner Kritik im „Vorwärts“ vom 15. April 1924 dazu: „Der starke Beifall galt der Regie und dem Hauptdarsteller. Er wird durch die Festungsmauern zu Ernst Toller dringen; … “. Der Justizminister Gürtner schrieb: „Dem Gesuche, dem Schriftsteller Ernst Toller … Strafunterbrechung zu bewilligen, kann keine Folge gegeben werden, weil die Bewilligung einer Strafunterbrechung zu diesem Zwecke mit dem Ernste des Strafvollzugs nicht vereinbar ist.“ (Toller schrieb „Hinkemann“ 1921-1922 im Festungsgefängnis Niederschönenfeld, in das ihn ein Standgericht wegen Beteiligung an der Räterepublik für fünf Jahre gesteckt hatte.)

Die Veranstaltung des Sport-Club Lurich 02 verlief ungestört und wurde deswegen als großer Erfolg gebucht. Das „Mitteilungsblatt“ vom 15. März 1924 schrieb: „Was in Berlin möglich gewesen ist, wird nunmehr auch wieder in anderen Orten des Reiches möglich sein, wenn man das Beispiel Berliner Arbeitersportler nachzuahmen bestrebt sein wird.“
Es gab weitere Berührungspunkte zwischen Sport und Kunst beim Sport-Club Lurich 02. So wie die geistige Bildung zur Körperausbildung hinzutrat, sollten sich die geistigen Werte wiederum in äußerer Körperschönheit widerspiegeln. Zu diesem Zweck veranstaltete der Verein 1925 die „Erste große Körperschönheits-Konkurrenz“ in Schinkels Festsälen in der Brückenstraße 2. Das Schiedsgericht bestand u.a. aus Professor Hans Baluschek, Heinrich Zille sowie dem Sportarzt Dr. Erich Moser. Im Ausschreibungstext zu dieser Veranstaltung ist zu lesen: „Gewertet wird der harmonisch gebildete durchtrainierte Körper (Körperformen und Muskulatur). Das Schiedsgericht ist unparteiisch zusammengesetzt und besteht aus anerkannten sachverständigen Autoritäten.“ Veranstaltungen dieser Art belegen die Nähe der Athleten zu heute unter „Bodybuilding“ eingeordnetem sportlichen Treiben. Es ging den Kraftsportlern gleichwohl um technisches Können bei der sportlichen Leistung wie um die Herausbildung eines schönen Körpers.
Die Juroren Hans Baluschek und Heinrich Zille gehörten den Malern der „Berliner Sezession“ an. Baluschek schilderte realistisch und mit sozialkritischer Tendenz Szenen aus der Berliner Vorstadt und der Landstreicherei. Zilles Gegenstand waren von Anfang an die Lebensumstände in den Berliner Arbeitervierteln. Solche engagierten Darstellungen wurden 1901 auf einer Ausstellung der „Berliner Sezession“ von Wilhelm II. mit der Bemerkung „Rinnsteinkunst“ geadelt.
Erich Moser war als Sportarzt für den IV. Kreis des AABD tätig und hatte seine Praxis als Praktischer Arzt in der Friedenstraße 78 in Friedrichshain. Für das „Mitteilungs-Blatt für die Mitglieder des IV. Kreises des Arbeiter-Athletenbundes“ schrieb er regelmäßig über sportmedizinische Themen.

Beim Sport-Club Lurich ging der sportliche Aufstieg weiter: Zum 25-jährigen Jubiläum 1927 war die Bilanz: Fünf Abteilungen mit verschiedenen Sportarten in fünf Turnhallen (Fürstenwalde hatte noch keine eigene Halle). Die Trainingsorte in Kreuzberg, Friedrichshain und Fürstenwalde waren:
Boxen: Turnhalle Bromberger Straße 13/14 (am Bahnhof Warschauer Straße) heute: Helsingforser Straße,
Heben: Turnhalle Schlesische Straße 4 (am Schlesischen Tor),
Jiu-Jitsu: Turnhalle Köpenicker Straße 2 (am Schlesischen Tor),
Ringen: Turnhalle Wrangelstraße 128 (an der Manteuffelstraße),
Mädchen und Frauen: Jiu-Jitsu: Turnhalle Schlesische Straße 4, Rhythmische Gymnastik: (Abt. Osten) Bromberger Straße 13/14, (Abt. Süd) Köpenicker Straße 125 (Feuerwache),
Abteilung Fürstenwalde: Heben, Ringen, Jiu-Jitsu in der „Neuen Welt“ Ketschendorf.
Als sportliche Erfolge seien nur erwähnt: Willi Meyer hielt sieben Jahre den Titel des Kreismeisters im Ringen (der Sport-Club Lurich war Mitglied im IV. Kreis des AABD, das waren die Vereine in Berlin-Brandenburg). Willi Meyer (ab Juli 1928 dann Erich Rochler) wurde auch Bundesjugendleiter des AABD. Unter seiner Obhut konnte die Jugendmannschaft des Sport-Club Lurich 1925 und 1926 die Kreismeisterschaft erringen. Kreismeister wurde auch die noch junge Boxabteilung: 1926/27 gewann sie die Mitteldeutsche Meisterschaft und qualifizierte sich für die Bundesmeisterschaft, dem höchsten Ziel im Arbeitersport.
Der Sport-Club Lurich trug die meisten Städtekämpfe (fast immer siegreich) aus und kämpfte in Schweden, Norwegen und der Schweiz ebenso wie in fast allen Provinzen Deutschlands.
Im Jubiläumsjahr 1927 trat auch Hermann Romba, Drucker, Jahrgang 1908, in den Sport-Club ein, weil er wegen einer Rückenverletzung gesundheitsorientierten Kraftsport betreiben wollte. Hermann Romba gehörte auch im Jubiläumsjahr 2002 dem Verein noch als Ehrenmitglied an. Wenngleich er auch nicht mehr trainierte, war er immer noch fit: Erst 1997 Jahren hatte er sein Fahrrad verschenkt und missachtete den Fahrstuhl zu seiner Neubau-Wohnung; lieber nahm er die Treppen.
Noch heute (Gespräch vom 20. September 2001) erinnert sich Hermann Romba lebhaft daran, wie gemeinschaftsorientiert damals das Vereinsleben organisiert war: „Der Verein war eine zweite Familie. Wir haben alles zusammen gemacht. Wir sind gewandert und haben Radtouren in das Berliner Umland gemacht. Wir haben fast alles zu Fuß oder mit dem Rad gemacht; für die Bahn hatten wir ja meistens kein Geld. Ein Nahziel war damals der Treptower Park. Da sind wir immer hin, nicht zum Grunewald, der war zu weit weg, da sind Kreuzberger nicht spazieren gegangen. In Treptow-Baumschulenweg hatte auch ‘Fichte’ seinen Sportplatz. Da sind wir zusammen hin oder haben uns da getroffen und haben Leichtathletik-Training gemacht.“ (Der Berliner Arbeitersportverein „Fichte“ war der größte rote Sportverein der Welt. Er besaß neben dem erwähnten eigenen Sportplatz u.a. ein eigenes Sportgeschäft in der Köpenicker Straße 108, wo sich auch die Geschäftsstelle befand.)
Wandertouren veranstaltete der Sport-Club Lurich 02 allein oder im Verbund mit den anderen Arbeitersportvereinen. So wurde trotz der hohen Arbeitslosigkeit durch eine finanzielle Unterstützung vom Verein und vom Verband, dem IV. Kreis, einer großen Mitgliederzahl die Teilnahme ermöglicht. Zu einer „Kartoffel- und Heringspartie“ der Kreisjugend im Herbst/ Winter 1926 nach Krummensee schickten zehn Vereine 210 Jugendliche. Diese trafen sich um 9.30 Uhr morgens auf dem Görlitzer Bahnhof und fuhren Richtung Königs Wusterhausen. Die abenteuerliche Schnitzeljagd in hügeliger Gegend wurde gekrönt von einem nachmittäglichem „Eisbein ohne Knochen“ (Hering) mit Pellkartoffeln. Das war für die Jugendlichen ein Festessen.
Aus der Zeit der Weltwirtschaftskrise weiß Hermann Romba zu berichten: “Wer arbeitslos war, und das waren damals fast alle, der zahlte im Verein keinen Beitrag. Die anderen zahlten 1,50 RM. Die Arbeitslosenunterstützung betrug 18,00 RM, ein Pfund billigstes Rindfleisch kostete 1,20 RM.“
(Lesenswert zur Situation der Kreuzberger in dieser Zeit: „Kreuzberg 1933 – Ein Bezirk erinnert sich“, Katalog zur Ausstellung 1983 im Kunstamt Kreuzberg, insbesondere Seite 39 f: „… eigene Sportvereine“.)

Die Auseinandersetzungen zwischen SPD und KPD führten 1928 auch zur Spaltung der Arbeitersportbewegung. Der Ausschluss der kommunistischen Opposition (dies waren insbesondere die Großvereine in Berlin) aus den Arbeitersportverbänden brachte die betroffenen Vereine in erhebliche Schwierigkeiten. Turnhallen und Sportplätze waren in der Regel ja nicht vereinseigen (wie bei „Fichte”), sondern öffentlich verwaltet und finanziert. Erst aufgrund von SPD/ KPD-Mehrheiten in den Kommunalparlamenten war den Arbeitersportvereinen die breite Nutzung dieser Einrichtungen, von denen zuvor meist die bürgerlichen Vereine profitierten, möglich geworden. Nun fiel jede öffentliche Unterstützung weg. Die Arbeiterbewegung schwächte sich durch diese inneren Auseinandersetzungen selbst und erleichterte den Nationalsozialisten die Machtübernahme.
Nach der Spaltung in sozialdemokratisch und kommunistisch orientierte (Rot-Sport) Vereine begann 1928 für die Berliner Großvereine ein Kampf um die städtische Sportförderung und den Vereinsbesitz. So sollten laut dem berühmten “Oehlschlägerbrief“ (Robert Oehlschläger war ein sozialdemokratischer Sportfunktionär) die städtischen Schulturnhallen nicht mehr kostenlos an die ausgeschlossenen Vereine abgegeben, sondern 3,00 RM pro Übungsstunde verlangt werden. Finanzielle Unterstützung sollte es gar keine mehr geben.
Als der Berliner Magistrat im August 1930 die Turnhallen an Berliner Sportvereine für das Winterhalbjahr 1930/31 vergeben musste, war auch die Zeit der vorgezogenen Reichstagswahlen. Der sozialdemokratisch geführte Magistrat entzog den Rot-Sport-Vereinen die städtischen Hallen ganz, musste aber aus wahltaktischen Gründen diese rigorose Verfügung wieder aufheben. Er besann sich dann auf die Möglichkeit, die 3,00 RM als Miete zu verlangen. Diese Entscheidung war während der Weltwirtschaftskrise für die betroffenen Vereine eine Katastrophe.

Ob und wie der Sport-Club Lurich von diesen Maßnahmen betroffen war und wohin er ggf. ausgewichen ist, konnte nicht mehr aufgeklärt werden. Aus den Erzählungen von Mitgliedern anderer Arbeitersportvereine (ATSV Fichte) ist bekannt, dass der Ausschluss aus dem Verband dem Verein erhebliche Schwierigkeiten brachte, öffentlich verwaltete Turnhallen zu erhalten. Also trainierten die Vereine teilweise in nicht mehr genutzten Fabrikhallen, denn die Weltwirtschaftskrise schaffte neben Sorgen auch leeren Raum. Die leerstehenden Fabrikgebäude, wie z.B. in der Wrangelstraße, Ecke Zeughofstraße (heute Aastra DeTeWe) wurden angemietet und in Selbsthilfe renoviert. Manchmal gab es eine Schulturnhalle zugeteilt. Insgesamt soll die Entwicklung unter dem Druck des aufkommenden Nationalsozialismus dahin gegangen sein, das Vereinseigentum rechtzeitig in Sicherheit zu bringen.
Als im März 1931 die Notverordnung des Reichspräsidenten zur Bekämpfung politischer Ausschreitungen in Kraft trat, verschärfte sich die Lage für die Berliner Rot-Sport-Vereine weiter. Ihren Veranstaltungen wurde der sportliche Charakter abgesprochen. Der Berliner Polizeipräsident rechtfertigte Verbote von Vereinsveranstaltungen (z.B. Gesellschaftsfahrten) mit der Begründung, diese seien von politischen Vereinen durchgeführt. Die Auseinandersetzungen spitzten sich zu anlässlich der für Juli 1931 geplanten Spartakiade der Roten Sportinternationalen, der Gegenorganisation zur Sozialistischen Arbeitersport-Internationalen. Die Spartakiade wurde vom sozialdemokratischen Polizeipräsidenten 14 Tage vor ihrer Eröffnung verboten. Das Verbot wurde noch einmal zurückgenommen, nachdem gegenüber dem preußischen Innenminister Severing der rein sportliche Charakter der Veranstaltung herausgehoben worden war. Anlässlich schwerer Ausschreitungen bei Demonstrationen kurz vor der Spartakiade, verbot der Polizeipräsident sie wegen Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung am 1. Juli 1931 erneut.
Bereits seit 1927 organisierten Berliner Arbeitersportvereine antimilitaristische Aktionen. Sie forderten in Entschließungen geeignete Abwehrmaßnahmen der Regierung gegen das Reichstreffen des „Stahlhelm“ im Mai 1927. Zu Beginn der 30er Jahre wurden Vorbereitungen für den Fall des Machtantritts des Faschismus getroffen. Die Kommunisten im Arbeitersport bereiteten sich verstärkt seit 1932 auf die Illegalität vor. Zur antifaschistischen Arbeit wurden überall auf Länder- und Kreisebene illegale Leitungen geschaffen und Stützpunkte errichtet. Hierzu wurden neue, zunächst nur formell existierende Vereine gegründet, die bei einem bürgerlichen Verband angemeldet wurden. Sobald es zum Verbot des alten Vereins kam, nahm der neue seine Tätigkeit auf. Zudem wurden Arbeitersportler in bürgerliche Organisationen eingeschleust.

Angesichts der kämpferischen Entschlossenheit Erich Rochlers kann vermutet werden, dass auch Mitglieder des Sport-Clubs dergestalt aktiv wurden; berichtet wurde es nicht mehr.
Zum 30jährigen Vereinsjubiläum des Sport-Club Lurich im Jahr 1932 gab es immerhin noch ein Mannschaftsturnier mit befreundeten Arbeitersportvereinen. Die Vereinsmitglieder haben sich also nicht unterkriegen lassen.

Überleben während der Diktatur - 1933-1945
Nach 1933 begann in Berlin eine innere Aushöhlung des gesellschaftlichen Lebens. Im Sport verfolgten die Nationalsozialisten die gleichen Strategien wie in anderen Lebensbereichen: Gleichschaltung, rassistische Auslese und Ausmerzung. Zerschlagen wurde die Arbeitersportbewegung, aufgewertet wurde die „körperliche Ertüchtigung“. Die bürgerlichen Vereine und Verbände setzten diesen Maßnahmen nur vereinzelt Widerstand entgegen. Die Mehrheit passte sich an und demonstrierte Wohlverhalten; „Führerprinzip“ und “Arierparagraph“ wurden bereitwillig praktiziert.

Ob der Sport-Club Lurich 1933 verboten wurde, ist bisher ungeklärt. Es gibt widersprüchliche Aussagen dazu, von denen alle plausibel sind; denn es gab nicht nur die offiziellen Verbotsverfügungen (diese bezogen sich eher auf die Verbände), sondern auch Selbstauflösung, „Zerschlagung“ durch Angriffe auf die Menschen und Entzug der Mittel sowie ”Gleichschaltung“. In „Kreuzberg 1933 – Ein Bezirk erinnert sich“ ist zu lesen, dass der Sport-Club Lurich nach 1933 einen von der Sportbehörde eingesetzten kommissarischen Leiter „mit Parteibonbon“ bekommen haben soll, dessen Einfluss gering gewesen sei. Acht Sportler seien verhaftet worden, von denen fünf nie mehr wiedergesehen worden seien. Der Jugendleiter sei gezwungen worden, der HJ beizutreten. Zwei Boxer und ein Ringer seien zur SA gewechselt.
In Erinnerungen ehemaliger Mitglieder wird Rudolf Knot, der zuvor schon Abteilungsleiter für Ringen gewesen war, als Vereinsvorsitzender dieser Zeit genannt. Rudi Knot erzählte der „Berliner Morgenpost” anlässlich seines 70. Geburtstags am 10. Januar 1981, dass der Verein nicht gleichzuschalten gewesen sei und prompt verboten wurde. Hermann Romba erinnert sich: „Wir haben uns umbenannt. Erst haben wir uns Kraftsportverein Treptow und dann Kraftsportverein Süd-Ost genannt. Dann sind wir in andere Vereine reingegangen und haben da geturnt und Fußball gespielt. Wir waren Buletten-Nazis – außen braun, innen rot -. Später, als dann Krieg war, ist sowieso kein Sport mehr gemacht worden.“ Durch den Eintritt von Mannschaften aus den Arbeitersportvereinen in andere Vereine waren in der folgenden Zeit auch diese bedroht.
Rudi Knot erkämpfte sich in den Jahren 1931, 1935 und 1936 im Jiu-Jitsu den Clubmeister Treptow, drei 2. Plätze bei Landesmeisterschaft, Junioren-Turnier und Deutscher Meisterschaft sowie einen 3. Platz bei der Landesmeisterschaft.
Das Leben unter der Diktatur ging aber auch seinen „normalen” Gang weiter. Im Dezember 1931 heirateten Irmgard Artz und Herbert Mietzner. 1935 ließen sie sich ihre Sozialversicherungsbeiträge auszahlen und gründeten mit diesem Geld nahe dem Alexanderplatz in der Großen Frankfurter Straße 47 (heute Karl-Marx-Allee) ein Fahrrad-Einzelhandelsgeschäft, dem schnell Erfolg beschieden war. Treibende Kraft war hierbei Irmgard Mietzner, gelernte Verkäuferin aus der Fahrradbranche. Sie führte das Geschäft allein weiter, als Herbert Mietzner – wie die meisten Luricher – 1940 zum Militär eingezogen wurde. Im Krieg wurde der Laden mit Wohnung viermal total ausgebombt und die Wohnung noch dreimal extra. Irmgard Mietzner schaffte es, das Geschäft nicht einen einzigen Tag schließen zu müssen. Um den Kundenstamm zu erhalten, blieb sie in Friedrichshain und landete bei Kriegsende mit nur noch wenig Materialvorrat in einem Hinterhof am Strausberger Platz. Sie bewies damit wahre Stärke, obwohl sie bei Lurich nicht das kämpferische Jiu-Jitsu trainiert hatte. Sie sagte immer: „Sport ist Mord”.
Im Verein muss das sportliche Leben trotz des Krieges notdürftig weitergegangen sein. Horst Timm (Jahrgang 1936, seit Juli 1948 im Verein) kann sich an Erzählungen der Älteren über während des Kriegs heimlich in der Turnhalle veranstaltete Wettkämpfe erinnern. Zuvor schon wurde das Training auch genutzt, um Flüchtenden ein Versteck zu bieten: Wenn sich Verfolgte in die Halle flüchteten, fingen die Ringer spontan mit dem Training an. Das Hin und Her auf den Matten bot den Gefährdeten Deckung. Später wurde den Versteckten die Flucht ins Ausland ermöglicht.
Gegen Kriegsende versteckte Rudolf Knot die letzte dem Verein verbliebene ca. vier bis fünf Zentner schwere Trainingsmatte und das selbstgestickte Vereinsbanner auf dem Dachboden eines Hauses am Dönhoffplatz (heute: Nähe Spittelkolonnaden). „Selbstgestickt“ ist wörtlich zu verstehen, da Rudolf Knot während der Weltwirtschaftskrise bei seiner Mutter im Kreuzberger Konfektionsviertel das Handwerk des Stickers erlernt hatte. Damals war er dem Sport-Club Lurich nur beigetreten, weil er etwas Ausgleichssport suchte. Er wurde ein guter Ringer und später begeisterter Judo-Anhänger.
Erich Rochler, 1. Vorsitzender des Sport-Club Lurich 02 seit Herbst 1924 und Bundesjugendwart des AABD, war gegen Ende der Weimarer Republik in der Kampfgemeinschaft für Rote Sporteinheit aktiv gewesen. In diesem Geist hatte er auch die Arbeit im Sport-Club Lurich betrieben. Er ging konsequent den Weg weiter, Sport im Sinne der revolutionären Arbeiterbewegung auszuüben; ein guter Sportler sollte auch ein guter Kämpfer für die Sache der Arbeiter sein. Mit anderen Kommunisten im Arbeitersport hatte er sich seit 1932 auf die Illegalität vorbereitet. Während des Faschismus schloss er sich der Widerstandsgruppe Berliner Kommunisten um Robert Uhrig an. Aus dieser Gruppe wurden viele Menschen im Zuchthaus Brandenburg (wie der bekannteste Arbeiterathlet und Freund Herbert Mietzners Werner Seelenbinder) oder in Plötzensee hingerichtet. Trotz Verhaftung im Februar 1942 beteiligte Erich Rochler sich wenige Monate nach seiner Freilassung an der Widerstandsarbeit des 1944 hingerichteten Bernhard Almstadt. Erich Rochler überlebte die NS-Diktatur und engagierte sich nach 1945 am Aufbau in der DDR.

Neuanfang aus dem Nichts - Die Nachkriegsjahre
Nach Beendigung des Krieges war Berlin weitgehend zerstört, seine Bevölkerung dezimiert, die Infrastruktur zusammengebrochen und die Lebensmittelversorgung ungesichert. Trotz der chaotischen Situation begannen die Sportler schon bald, sich wieder zusammenzufinden, die verwüsteten Sportplätze herzurichten und zwischen den Trümmern Sport zu treiben.
Allerdings waren im April 1945 mit der NSDAP und ihren Gliederungen auch die Sportorganisationen aufgelöst worden. Initiativen zur Wiedergründung von Sportvereinen wurden unterbunden. Stattdessen wurde eine kommunale Organisation des Sports durchgesetzt, die für alle Fragen der sportlichen Betätigung zuständig war: Ab Juni 1945 gab es ein zentrales Sportamt beim Magistrat sowie Sportämter in den 20 Berliner Bezirken. Diese erteilten z.B. die „Sportkarte“, welche zur Teilnahme an einer bestimmten Sportart berechtigte.

Viele Arbeitersportler waren dem NS-Terror zum Opfer gefallen. Von den 1.200 Mitgliedern des Sport-Club Lurich aus der Zeit vor 1933 waren 1945 noch 80 übrig geblieben. 1946 kamen einige der alten Mitglieder wieder zusammen und versuchten einen Neuanfang in der Turnhalle Görlitzer Straße 51. Unter den Augen der Besatzungsmächte nahmen sie dort in einem losen Verband mit dem Namen „Körpergymnastik Süd-Ost“ den Sportbetrieb wieder auf; sportliches Treiben war den Alliierten verdächtig, Vereine wurden noch nicht erlaubt. Die Bedingungen waren denkbar schlecht. Hermann Romba erinnert sich: „Die Turnhalle hatte keine Scheiben. Licht gab es auch nicht. Wir haben trotzdem abends ein bisschen Gewichtheben trainiert. Bei Kerzenlicht. Ringen ging nicht, da wir keine Matten hatten.“
Trotz der desolaten Lage im zerstörten Berlin und im kaputten Deutschland schafften es die Sportler, zu einem geregelten Trainingsbetrieb zurückzufinden und mit dem Sport-Club zu Städtekämpfen in die deutschen Länder zu reisen. Horst Timm reiste als Jugendlicher zu den Ringer-Wettkämpfen mit. Er erinnert sich: „Judo und Ringen waren 1945 noch verboten. Erst allmählich lockerten die Alliierten die Bestimmungen und es gab den ‚Allgemeinen Sportausweis’. Ich konnte damals mit den Erwachsenen die Städtereisen mitmachen. Wer konnte 1946/48 schon verreisen? Das ging auch noch Jahre später für viele nicht. So bin ich aber mit dem Verein durch Deutschland gereist. Diese Reisen, ob nach Thüringen oder nach Mecklenburg, haben wir teilweise auf Lastwagen gemacht. Abends haben wir dann zusammen gesessen beim Bier. Das war für mich als Junge ein Erlebnis, dass ich da mit den Erwachsenen zusammen sitzen konnte. Überhaupt diese Geselligkeit! Es gab auf jeden Fall mehr Geselligkeit als heute.“
Horst Timm wurde durch dieses Gemeinschaftsgefühl und die Zuwendung der Erwachsenen erfolgreich an den Ringer-Sport herangeführt. „Als ich das erste Mal in der Turnhalle zuschaute, fragte mich einer von den Ringern ‘Na, Kleener, willste auch mal?’. Ich bin dann mit dem Großen auf die Matte und habe es auch geschafft, ihn einigermaßen zu bezwingen und ihn mit einem Griff, den ich mir abgeguckt hatte, unten zu halten. Nachher habe ich dann gehört, wie der zu einem anderen Erwachsenen sagte: ‘Mensch, haste jesehen, wat der mit mir jemacht hat? Wie der mir jehalten hat?’. Ich bin dann förmlich nach Hause geschwebt.“
Die Auseinanderentwicklung der westlichen Sektoren und des Ostteils der Stadt erreichte 1948 auch den Sport: im Ostsektor wurden FDJ und FDGB die Träger der Sportbewegung unter Koordinierung durch den „Berliner Sportausschuss“, im Westteil gründeten die Vertreter der wieder zugelassenen Vereine im Oktober 1949 den „Sportverband Groß-Berlin“.
1949 kam es mit Zulassung der Alliierten Kommandantur zur Neugründung des Sport-Club Lurich 02 als „nichtpolitische Organisation“. Gründungsmitglieder waren: Franz Hagemoser (geb. 08.11.1895), Ernst Kowalewski, Andreas Krämer, Willi Schulz und – wie schon 1902 – Gustav Schmitz (geb. 22.06.1886).
Andreas Krämer wurde auch zum ersten Vorsitzenden des im Dezember 1949 gegründeten „Schwerathletik-Verband Berlin“ gewählt. Dessen Geschäftsstelle befand sich bei Andreas Krämer in der Admiralstraße 11, die auch lange Jahre Geschäftsstelle des Sport-Club Lurich war. Der Klempnermeister Willi Schulz hatte sie als 1. Vorsitzender des Vereins inne.
In dieser schweren Zeit schafften es die Lurich-Ringer trotzdem, an die Blütezeit der Zwanziger Jahre anzuknüpfen. Bei der Berliner Mannschaftsmeisterschaft der Amateurringer 1949 siegte der S.C. Lurich 02 über den S.C. Hohenschönhausen. Lurich verfügte neben einer guten zweiten Mannschaft auch schon über guten Nachwuchs. „Ein Talent scheint in dem Schüler Timm … heranzureifen“ der „schon gute Technik zeigte“ (Sport-Echo vom 25. Juli 1949). 1949 und 1950 wurden noch gesamtdeutsche Meisterschaften in der Schwerathletik ausgetragen; die Spaltung Deutschlands und des Sports war aber schon in vollem Gange.
1950 hatte der Verein endlich wieder seine Trainingsstätte in der Turnhalle Manteuffelstraße 7, wo in den Zwanziger Jahren bereits die Ringer trainiert hatten. Im Dezember 1950 bestritten die Berliner Mannschaftsmeister von Lurich 02 im Neuköllner Excelsior-Kino ihren Vorrundenkampf zur deutschen Meisterschaft. „Heute blühen Berlins Amateurringer wie die berühmten Veilchen im Verborgenen. Doch schon zählt der vom rührigen Andreas Krämer geleitete Verband der Berliner Amateurringer 1.500 Aktive“ (Sport-Kurier vom 18. Dezember 1950). 1952 waren vom S.C. Lurich bereits drei Berliner Mannschafts-Meisterschaften im Ringen erzielt worden nebst drei zweiten Plätzen.
Zur gleichen Zeit wurden durch die Mitglieder Hans Kiefer, Theo Klomfaß, Heinrich Gehrick und Horst Timm auch die internationalen Verbindungen des Sport-Clubs wieder aufgenommen. Durch diese Städte-Turniere wurden bis heute bestehende Freundschaften geknüpft; mit der schwedischen Mannschaft von Starke Trelleborg wurde noch in den 90er Jahren eine gemeinsame Fahrt durch den Spreewald gemacht. Theo Klomfaß erinnert sich: „Als wir damals mit der Berliner Stadtmannschaft (13 Vereins-Mannschaften) nach Trelleborg reisten, war für uns beeindruckend, wie die Schweden uns empfingen. Nach dem Austragen der Kämpfe gab es ein riesiges Buffet. Wir ahnten nicht, dass zuerst nur Vorspeisen kamen und tischten uns kräftig auf. Es hatte uns zwar ein Sportkamerad vorher etwas über die schwedischen Buffets erzählt, aber wir konnten uns das eben nicht vorstellen. Als wir schon ziemlich satt waren, kam erst der Hauptgang! Da konnten wir nicht mehr. Und die Trinkgewohnheiten der Schweden!“ Horst Timm: „Ich werde es nie vergessen: ‚Horst, botten op’. Und dann musste man auf einen Zug austrinken.“ Nach dem Essen gab es dann erst den wirklichen Höhepunkt des Abends: Eine Tür öffnete sich und 30 blonde Schwedinnen waren zu sehen. Sie waren extra für die Gast-Sportler zum Tanz reserviert worden. Theo Klomfaß: „Sie haben uns empfangen wie Freunde, nicht wie besiegte Nazis. Diese Achtung und die Auslandskämpfe haben uns geholfen beim Aufbau von Selbstbewusstsein und Selbstwertgefühl. Da habe ich als junger Mensch gemerkt: Du bist ja doch jemand.“ Horst Timm: „Unser Sport wirkte wirklich völkerverständigend.“
Zum 50-jährigen Vereinsjubiläum 1952 gab es ein Fest in Kliems Festsälen in der Hasenheide und ein Gruppenfoto mit dem geretteten Vereinsbanner im Innenhof des Areals der Turnhalle Manteuffelstraße 7.
Am 26. September 1958 gab es dann den ersten Mannschafts-Meisterkampf der Saison 1958/59 im Ringen mit dem KSV Spandau als Gegner; der Sport-Club Lurich hatte wieder eine starke Mannschaft, die erneut Berliner Meister werden wollte. Dieses Ziel wurde erreicht: Am 9. Mai 1959 sprach das Bezirksamt Kreuzberg von Berlin mit dem Bürgermeister Kressmann seinen Glückwunsch und seine Anerkennung aus; die Mannschaft des Sport-Clubs war Berliner Meister 1958/59 geworden. Der riesige bronzene Meisterschafts-Löwe steht noch heute im Wohnzimmer von Theo Klomfaß. Zur Mannschafts-Meisterschaft wurde dann im Januar 1959 ein großer Sportler-Ball in Kliems Festsälen in der Hasenheide veranstaltet.
Die Hasenheide und Bürgermeister Willy Kressmann waren den Lurichern auch auf andere Weise verbunden: Damals gab es randalierende Jugendliche, die in der Hasenheide ihr Unwesen trieben. Sie warfen Parkbänke um und demolierten alles, was nicht niet- und nagelfest war. Willy Kressmann traf die Lurich-Sportler in ihrem Vereinslokal „Zur Taube“ und bat sie, mal mit ihm gemeinsam „aufzuräumen“. Die starken Männer vom Sport-Club zogen mit ihrem Bürgermeister und mit einigen Stöcken bewaffnet in die Hasenheide und demonstrierten Präsenz. Diese Art der Gefahrenabwehr durch Kompetenzüberschreitung und extrem fragwürdige Selbsthilfe zeigte nichtsdestotrotz Wirkung: Die Jugendlichen erkannten ihren Bürgermeister, der hier höchstpersönlich aktiv wurde, waren von seinen Gehilfen tief beeindruckt und gaben fortan Ruhe.
An die Traditionen des Zusammenhalts, des Gemeinsinns und der Jugendarbeit konnte der Verein wieder anknüpfen, an die der Arbeitersportbewegung nicht mehr. Die politischen Bedingungen im geteilten, durch die Besatzungsmächte geprägten Deutschland waren grundsätzlich andere. Dies zeigt sich sehr deutlich an der Gründung eines „Freundeskreises ehemaliger Arbeitersportler“ im Jahr 1959: Das „ehemalige“ am Arbeitersport wurde mit in den Namen aufgenommen (ähnlich wie heute beim Umgang mit der „ehemaligen“ DDR).

Die Spaltungen gehen weiter - Der Mauerbau und seine Folgen
Auch nach dem Zweiten Weltkrieg wurde der Verein Opfer von Spaltungen: Das zerteilte Deutschland zerteilte auch die Beziehungen zwischen den Menschen. Der Sport-Club war immer im Osten und Südosten Berlins zuhause gewesen. In Kreuzberg und Friedrichshain wurde Sport getrieben, wurden die Feste gefeiert und Veranstaltungen abgehalten. Die Luricher kannten Kliems Festsäle in der Hasenheide genauso gut wie die Prachtsäle am Märchenbrunnen, Schinkels Festsäle in der Brückenstraße und die Andreas-Festsäle in der Andreasstraße. Die Vereinslokale, in denen sie ihre Versammlungen abgehalten hatten, lagen stets diesseits und jenseits der Spree.
Im geteilten Nachkriegsdeutschland war Erich Rochler nochmals für den Verein bedeutsam geworden. Horst Timm: „Rochler war nach 1945 im Osten ein hoher Funktionär. Er hat dem Sport-Club Lurich bei Städtekämpfen als politischer Organisator für Mannschaftskämpfe zur Seite gestanden. Alles was mit Passierscheinen und Einreisegenehmigungen zu tun hatte, hat Rochler gemacht. Einmal war er unser Fahrleiter. Wenn die Grenztruppen sein Parteiabzeichen sahen, haben sie strammgestanden. Als wir dann auf die Dörfer kamen, war Ringen dort was ganz Großes. Essen und Trinken war angesagt und die Gasthöfe waren ausverkauft. Es wurde proklamiert, unsere Kämpfe würden „für die Arbeiterbewegung“ ausgetragen. Das haben wir natürlich ganz anders gesehen. Damit auf jeden Fall gewährleistet war, dass die Ost-Mannschaften nicht gegen uns verloren, reisten auf jeder Fahrt zwei gute Ost-Ringer mit, die dann in den jeweiligen Dörfern und Städten als „Mitglieder“ der dort ansässigen Mannschaft gegen uns antraten. Ein Schwergewichtler hat dann gesagt, das macht er nicht mehr mit. Für mich aber waren diese Reisen mit Lurich die einzige Möglichkeit, meine Verwandten in Magdeburg zu besuchen.“
Schon vor dem Mauerbau waren diese sportlichen Kontakte gekappt worden; mit dem Mauerbau 1961 brachen alle Verbindungen endgültig ab. Bereits vorher hatte es unterschwellige Spannungen gegeben. Hermann Romba: „Die haben immer gesagt: ‚Kommt doch rüber, bei uns ist es doch viel besser.’ Aber wir sind nicht gegangen.“ Durch die Teilung Berlins verlor der Verein viele Mitglieder, wie z.B. Franz Larisch, Konrad Liehr und Kurt Schwellnuss. Es fehlten fortan nicht nur deren Mitgliedsbeiträge, sondern auch ihr sportliches Talent. Der Verlust an Mitgliedsbeiträgen wurde den Vereinen zwar 1963 vom Senat ersetzt, die Menschen jedoch konnten nicht ersetzt werden. Die Vereinsmitglieder zeigten ihre Verbundenheit mit den Ost-Sportlern, indem sie die Senatsgelder für Päckchen an diese verwendeten.
Erich Rochler besorgte noch 1962 auf eine Bitte Gustav Schmitz’ dem Verein zum 60-jährigen Bestehen eine Kopie der Festschrift von 1927. Laut Begleitbrief Rochlers vom 26.01.1962 aus Berlin-Bohnsdorf war das Original „aus Leipzig” nicht an ihn herausgegeben worden; es gab Ängste fünf Monate nach dem Mauerbau.
Überhaupt waren es wilde Zeiten. Horst Timm erinnert sich an kleinere Reibereien mit dem „Sparverein Süd-Ost“: „Dies war ein Zusammenschluss von Kriminellen, die Einbrüche gemacht haben. Wurde eines der Mitglieder gefasst, sorgte der Verein für die Verwandten und besorgte Anwälte. War das Mitglied wieder draußen, setzte sich der Verein für die Resozialisierung ein. Der Sparverein „stellte” dann den Zapfer in einer Wirtschaft. So hatte das Mitglied gleich aus dem Gefängnis heraus Arbeit. Akzeptierte der Wirt das nicht, wurde die Wirtschaft zusammengeschlagen. Dieser Verein hatte einen „Manager“, dessen Sohn zum Sport-Club Lurich sollte. Das wollten die Vereinsmitglieder auf keinen Fall. Gegen eine Mitgliedschaft waren vor allem die Geschäftsinhaber, Franz Hagemoser, der hatte den Blumenstand in der Eisenbahn-Markthalle und Herbert Mietzner, der hatte mit seiner Frau zusammen das Fahrrad-Geschäft in der Admiralstraße. Danach kam es schon mal vor, dass da große Jungs – von uns und von denen – Fuß bei Fuß standen, kurz vor der Schlägerei. Aber wir haben ihn nicht aufgenommen. Der Verein hätte finanziell ziemlich gut dagestanden, wenn der Sohn Mitglied geworden wäre. Aber die Geschäftsleute waren dagegen.”
In der Admiralstraße 27 im Südosten Berlins war 1945 der Neubeginn für die Firma Mietzner erfolgt. Wegen Sanierung des Quartiers um das Kottbusser Tor musste die mittlerweile auf Groß– und Einzelhandel angewachsene Firma 1969 in die Hagelberger Straße 53-54 ausweichen. Herbert Mietzner konnte wegen einer Kriegsverletzung nicht mehr Ringen, war aber aktiv im Radsport und in der ehrenamtlichen Vereinsarbeit. Irmgard Mietzner, älteste selbständige Fachfrau der Branche, setzte sich trotzdem nie auf ein Rad!
Die Spaltung Deutschlands war nicht die einzige, welche der Verein aushalten musste. Eine weitere war die Trennung der Sportverbände. Der Dachverband für Ringer und Heber, der „Deutsche Athleten-Bund“, trennte sich in den Sechziger Jahren. Die Heber wünschten eine eigene Organisation. Für einen Verein bedeutete dies: Wollte er beide Sportarten wettkampfmäßig betreiben, musste er für zwei Verbände Beiträge zahlen. Diese müssen durch eine entsprechende Mitgliederzahl aufgebracht werden; Mitgliederverluste (wie durch den Mauerbau) wiegen dann doppelt schwer. Für Berlin war zunächst noch der Athletik-Verband Berlin zuständig.
Einige Ringer verließen trotzdem den Verein: Entweder, weil die Trainingsbedingungen in der alten Halle schlecht waren (bis 1969 keine Dusche; zwei von Klempnermeister Willi Schulz 1961 gespendete Duschanlagen durften nicht vom Verein eingebaut werden) oder, weil sie keine Trainingsgegner fanden. 1961 wurde zeitweise in einer Halle in der Urbanstraße trainiert, weil die Halle in der Manteuffelstraße aus den Nähten platzte. Die Heber-Mannschaft stabilisierte sich in dieser Zeit als eine der besten in Berlin. 1962 wurde Manfred Gräber Berliner Meister im Gewichtheben und die Hebermannschaft wurde Berliner Mannschaftsmeister. Zu erwähnen sind auch mit herausragenden Dreikampfleistungen Manfred Hebbel, der dann 1970 den Pokal für das traditionelle Lurich-Weihnachtsheben stiftete und der Deutsche Meister im Steinstoßen, Lothar Matuschewski. Die Ringer blieben erfolgreich.
1962 wurde anlässlich des 60jährigen Bestehens des Vereins dem Ehrenvorsitzenden Gustav Schmitz die „Goldene Ehrennadel mit Brillanten“ verliehen. Die „Silberne Ehrennadel“ ging an die Berliner Meister Klaus Rauhut, Manfred Gräber und Theo Klomfaß. Geehrt wurden auch der Norddeutsche und Berliner Meister Horst Kanzeck und der Berliner Meister Horst Knippel. Insgesamt wurde den aktiven Sportlern gedankt für den 4. Platz beim Heben und Ringen der Senioren sowie für den 3. Platz bei den Berliner Mannschaftsmeisterschaften der Jugend. Franz Hagemoser wurde eine besondere Anerkennung für seine 30jährige Tätigkeit als Kassierer des Vereins ausgesprochen und Hermann Romba (Eintritt 1927) wurde für 35 Jahre Mitgliedschaft geehrt, Fritz Stark (Eintritt 1937) bekam eine Urkunde für 25 Jahre Treue zum Verein (woraus zu ersehen ist, dass – nach eigenem Selbstverständnis – auch während der NS-Diktatur der Verein noch bestanden hat). Angesichts der vom Verein gerügten unzureichenden Trainingsbedingungen wurde vom Bezirksamt zugesichert, „in den nächsten Jahren“ die renovierte Halle in der Görlitzer Straße 51 zur Verfügung zu stellen.
Im Dezember 1961 war zudem unter Vorsitz von Horst Timm endlich die Eintragung in das Vereinsregister erfolgt, auf die einige Mitglieder aus Haftungsgründen schon lange gedrängt hatten. Trotz der sich langsam, aber stetig zum Schlechten verändernden Bedingungen (Theo Klomfaß im April 2002: „Als alle Fernsehen hatten, war es aus!”) wirkten die Vorstandsmitglieder der Sechziger Jahre, der Stickereibetrieb-Inhaber Rudolf Knot (Jahrgang 1910), der Geschäftsführer Horst Timm, der Blumenhändler Franz Hagemoser (Jahrgang 1895), der Kaufmann Herbert Mietzner (Jahrgang 1908), der Tischlermeister Theo Klomfaß und der Ehrenvorsitzende Tischlermeister Gustav Schmitz (Jahrgang 1886), unermüdlich weiter für den Kraftsport und den Verein. Sie wünschten sich aber 1968, die Führung an jüngere Mitglieder abgeben zu können; auch damals war es nicht leicht, engagierte Kräfte dafür zu finden. Theo Klomfaß nahm im April 1967 im Alter von 35 Jahren Abschied von der Ringermatte. In fast zwei Jahrzehnten hatte er rund 1.500 Kämpfe bestritten. „Seit 14 Jahren habe ich Rheuma in den Knochen. Die Schinderei wird allmählich zu groß” (Morgenpost vom 11.04.1967). Seiner Mannschaft stand er aber weiter zur Verfügung. Doch solches Engagement war nicht mehr selbstverständlich. Die Menschen entwickelten mit zunehmendem Wohlstand andere Interessen.
Außer an die Ringer-Tradition konnte der Sport-Club in den Sechziger Jahren noch an eine andere Tradition anknüpfen: Die Athleten hatten sich immer auch um Körperschönheit bemüht, die seit den Fünfzigern in Deutschland langsam als Bodybuilding bekannt wurde. Berlin wurde eine Hochburg dieses Sports. 1955 gründete Paul Noack, ein ehemaliger Boxer, ein “Sportforum“. Sein Schüler Poldi Merc gründete 1957 ebenfalls ein Studio. Die dritte „Athletische Körperschule“ war beim Sport-Club Lurich angesiedelt. Wolfgang Werner, ein Pionier der Körperausbildung und Berliner Meister im Gewichtheben, hatte die Bildung einer eigenen Abteilung angeregt.
Als mit Reinhard Smolana 1960 ein Berliner als erster in München Mister Germany wurde, begann eine Erfolgsserie für die Athleten von der Spree. Einer der vielen außergewöhnlichen Athleten aus Berlin war Klaus Struhlik; er ging aus dem Sport-Club Lurich 02 hervor. 1961 veranstaltete der Verein eine „Mister-Lurich-Wahl“ im Statthaus Böcklerpark: Klaus Struhlik belegte den ersten Platz; 1963 wurde er dann „Mr. Neue Welt“ in der Hasenheide und Vize-Mister Germany. Ein weiterer prominenter Sportler war Wolfgang Simon; er belegte 1966 den sechsten Platz bei der Mister-Germany-Wahl. Die Lurich-Veranstaltung mit Klaus Struhlik im Böcklerpark hatte Wolfgang Pers gesehen. Begeistert trat er zwei Wochen später dem Verein bei. Noch im Jahr 2002 nahm Wolfgang Pers für den Berliner Gewichtheber- und Kraftsportverband die Aufgaben eines Pressereferenten für Bankdrücken wahr. Er betreute auch für den Sport-Club die Aufgaben des Pressewarts. Im August 1962 trat aus Begeisterung für die “Körperschule” Harri Selzer der erfolgreichen Abteilung bei; er blieb dem Verein treu, wurde Abteilungsleiter „Athletische Körperschule“ und trainierte im Jubiläumsjahr 2002 Bankdrücken als einer der erfolgreichsten Senioren-Wettkämpfer.
1967 wurde Klaus Rauhut Norddeutscher und Berliner Meister im Ringen. Er war einer derjenigen, die aufgrund schlechter Trainingsbedingungen den Verein danach verließen. Manfred Gräber und Lothar Matuschewski wurden Norddeutsche Meister im Rasenkraftsport. Ende der Sechziger und Anfang der Siebziger Jahre verlagerte sich der Schwerpunkt der im Verein betriebenen Sportarten immer mehr vom Ringen und Heben auf Judo und Karate. Die Gründe dafür sind vielfältig. Ein Grund war zu finden im lange zugesagten, aber 20 Jahre nicht durchgeführten Umbau der Turnhalle Manteuffelstraße 7. Als 1970 die Halle endlich renoviert wurde, konnten die Ringer ein Jahr lang gar nicht trainieren; die Heber trainierten unter den Baugerüsten! Bei der Berliner Mannschaftsmeisterschaft 1969/70 wurde die Mannschaft immerhin Vize-Meister mit ihrem Mannschaftsführer Helmut Zühlke. Die Mannschaftsmitglieder Werner Hoffmann und Günter Licht blieben dem Verein treu und trainieren noch heute kraftorientierte Fitness und Bankdrücken. Die Ringer Ingo Hauck und Peter Werner errangen trotz der widrigen Bedingungen den 2. Platz bei den Berliner Meisterschaften.
Auf einige altgediente Mitglieder musste der Verein jetzt verzichten: Als 1970 Franz Hagemoser starb, übernahm Paul Lange das Amt des Kassierers. Auch er starb 1974. Franz Hagemoser hatte vor seinem Tod einen Pokal für den „Verdienten Funktionär” gestiftet. Dieser ging 1974 an Rudi Knot. Er erwies sich dieser Ehrung in vollem Umfang würdig: Fast die gesamten 70er Jahre hindurch stellte er sich dem Verein noch als Vorsitzender zur Verfügung.
Im Verlauf der Siebziger Jahre wurden im Sport-Club Judo, Karate und weiter Kraftsport in Gestalt der 1975 ins Leben gerufenen „Fitness-Abteilung” betrieben. Ringen wurde schon 1970 kaum mehr trainiert, die Heber waren ebenfalls nicht sehr aktiv. Der Verein war nun Mitglied im Judo- und im Karate-Verband Berlin. Ende 1976 zählte die Judo-Abteilung schon ca. 65 aktive, meist jugendliche Mitglieder. Rudolf Knot hatte sich vom aktiven Ringer zum engagierten Judo-Trainer entwickelt. Er begrüßte die Aufwärtsentwicklung dieser Abteilung.
Anfang 1977 wurde ein Versuch mit dem erfolgreichen Ringer Recai Bicer gestartet, die Ringer-Abteilung wieder aufzubauen; doch konnte die abwärts gerichtete Entwicklung dieser Abteilung nicht mehr umgekehrt werden: Gegen Ende der Siebziger Jahre waren die ehemaligen Ringer und Heber verbandsmäßig nicht mehr organisiert. Seitdem herrschte bei diesen Athleten Wettkampfabstinenz; sie zählten nur noch ein knappes Dutzend.
1980 trat Rudolf Knot von seinem Amt zurück. Als letzte Amtshandlung überreichte er Hermann Romba eine Ehrenurkunde für dessen Treue zum Verein. Der Verein wiederum bedankte sich bei Rudi Knot und machte ihn zum Ehrenvorsitzenden; ein Amt, das Gustav Schmitz bis zu seinem Tod Mitte der Siebziger Jahre innegehabt hatte. Am 10. Januar 1981 feierte “Ringer-Rudi” seinen 70. Geburtstag in „Kliems Festsälen” in der Hasenheide und konnte zurückblicken auf „500 siegreiche Mattenschlachten” (Morgenpost vom 10.01.1981). Als Rudi Knot starb, blieben das Kaiserzeit-Foto der Vereinsgründer und das Vereinsbanner in seinem Nachlass und gingen damit für den Verein verloren. Schon zuvor waren bei einem Pächterwechsel des Vereinslokals sämtliche vereinseigenen Gegenstände wie Pokale, Urkunden und Fotos „abhandengekommen”; der neue Pächter behauptete, dies alles mit übernommen zu haben.
Zu Beginn der Achtziger Jahre trainierten Judoka und Karateka recht erfolgreich: Bei Turnieren erreichten sie stets vordere Plätze, bei den Bezirksmeisterschaften gab es zwei erste und zwei dritte Plätze, bei den Berliner Einzelmeisterschaften ebenfalls zwei dritte Plätze. 1982 wurde Jenny Radtke Berliner Meisterin bei den Jugendlichen. Zum 80-jährigen Jubiläum hatte der Verein etwa 150 Mitglieder. Gefeiert wurde mit einem Umzug durch den Kiez und auf dem Sportplatz der Nürtingen-Grundschule mit Musik, Würstchen, Bier vom Fass sowie Vorführungen im Judo, Karate, Ringen und Rhönradfahren. Trotzdem wollte es nicht so recht weitergehen: Die Karateka verließen den Verein und mit der Mitgliederzahl ging es abwärts.
Wendet sich das Blatt - Nach der Wende 1989 und der Jahrtausendwende
Im Mai 1987 war nur noch eine aktive Judo-Gruppe mit ca. fünf Kindern vorhanden. Insgesamt gab es ca. 15 Judoka und 35 „Fitnesser“. Durch die engagierte Arbeit des neuen Trainers und späteren Vorsitzenden Nedim Bayat hatte sich bereits 1988 die Mitgliederzahl auf 35 Judoka in zwei Gruppen erhöht. 1991 gab es schon wieder 40 aktive Judoka und drei Gruppen mit ungefähr 60 gezählten Mitgliedern. Im Sommer 1992 wurde eine Aikido-Abteilung gegründet und seit Anfang 1994 mit einer Trainerin begleitet. Gleichzeitig stieg die Mitgliederzahl in der Judo-Abteilung enorm an. Ende 1994 gab es ca. 120 aktive Judoka (hauptsächlich Kinder und Jugendliche). 1996 zählte der Verein schon wieder ungefähr 220 Mitglieder in drei Abteilungen.
Auch die sportlichen Erfolge stellten sich wieder ein: Die Judoka und die Kraftdreikämpfer des Vereins behaupteten sich bei etlichen Meisterschaften und konnten stets Pokale und Medaillen erkämpfen. Zudem wurde die Tradition der Turniere wieder aufgenommen. Über die Berliner Landesgrenzen hinaus gab es auch Erfolge bei Nordostdeutschen Meisterschaften und überregionalen Turnieren. Zudem gab es einen Medaillengewinn bei der Deutschen Meisterschaft. Die Judoka des S.C. Lurich 02 stellten sogar eine Sportlerin im Bundeskader: Adelheid Könsgen. 1999, 2000 und 2001 war sie Berliner Meisterin. Im Jahr 2000 war sie zudem bei den Nordostdeutschen Meisterschaften Dritte und bei den Deutschen Meisterschaften Vize-Meisterin (Anm. im Jahr 2008: 2003 wurde sie Deutsche Meisterin!) Etliche nationale und internationale Turniere komplettieren ihre Erfolgsliste.
Die Judoka trainieren seit Oktober 1995 in der neuerbauten Turnhalle der Heinrich-Zille-Grundschule am Görlitzer Bahnhof. Die Kraftsportler trainierten bis zum Herbst 1999 in der traditionsreichen Turnhalle Manteuffelstraße 7, die mit einem vereinseigenen „Heberboden“ ausgestattet war. Danach waren sie im Konditionsraum der Carl-von-Ossietzky-Oberschule, Blücherstraße 46-47, zu Gast. Eine vom Bezirksamt angebotene „Übergangslösung”, die über drei Jahre andauerte.
Zurzeit steht endlich der ersehnte Umzug in die „Sporthallen Mariannenplatz” bevor. Die renovierte Doppelstock-Turnhalle in der Wrangelstraße 136 wurde dem S.C. Lurich teilweise zur Nutzung überlassen. Die Judoka sind zwischenzeitlich schon mit einigen Gruppen in die Halle umgezogen. Da das Areal auch mit einem Kraftraum ausgestattet ist, kann nun wieder ein vollständiges Krafttraining in allen Varianten angeboten werden.
Erfreulich ist die sich abzeichnende Erweiterung des Vereins auf die Felder Volleyball und Artistik. Zum einen können wir damit die Tradition des Ausgleichssports überhaupt wieder aufgreifen und zum anderen an den traditionellen Ausgleichssport unserer Vereinsgründer anknüpfen. So schließt sich in 100 Jahren ein Kreis.

Dankeschön

Beim Erstellen dieser Chronik konnte ich aufbauen auf der Vorarbeit von Karl Koltermann, dem Verfasser der Vereins-Festschrift von 1927 und den Verfassern von Festreden zum 80. und 90. Vereins-Geburtstag, Siegfried Primc und Nedim Bayat.
Darüber hinaus habe ich mich auf die engagierte Hilfe folgender Personen gestützt:
Hilmar Bürger, Berlin; Martin Düspohl, Jörg Klitscher und Gerlind Heyn vom Kreuzberg-Museum; Dr. Bernd Wedemeyer, Göttingen; Thomas Willaschek, Sportmuseum Berlin; Dr. Gerlinde Rohr, Sportmuseum Leipzig; Wolfgang Pers, Berlin und viele unbekannte, unerkannte Helfer, die zu nennen mir leider nicht möglich ist.
Insbesondere möchte ich Dr. Claus Grote, Göttingen, danken, der uneigennützig alte „Athletik“-Hefte nach Notizen über den Sport-Club Lurich durchsah und mir diese zur Verfügung stellte.
Besonderen Dank schulde ich meinen Gesprächspartnern Hermann Romba, Theo Klomfaß, Horst Timm und Helga Rese (Tochter Irmgard Mietzners): Sie haben mich offen empfangen und mir sowohl ihr persönliches Eigentum als auch ihre Erinnerungen anvertraut. Erst durch diese Gespräche konnte eine Annäherung an die Geschichte der Menschen in und um den Sport-Club Lurich 02 versucht werden.
Für Ungenauigkeiten und Unstimmigkeiten der Chronik kann ich im Übrigen nur um Nachsicht bitten.

Berlin, im Juni 2002

Karin Gülpen